Montag, 1. Dezember 2008

Wikipedia und der altruistische Opportunist auf der Suche nach Sozialität


“A free culture is not a culture in which artists don’t get paid. A culture without property, or in which creators can’t get paid, is anarchy, not freedom.” (Lessing 2003. Preface)


Menschen schreiben ohne jegliche Entlohnung Artikel bei Wikipedia oder Kundenrezensionen bei Amazon. Die Wissenschaft bietet Altruismus, Idealismus oder Reziprozität als theoretische Figuren zur Erklärung an.

Diese Figuren bergen sowohl für die Ökonomie, die nun vor dem Rätsel steht, scheinbar unentgeldliches Produzieren von User Generated Content mit der Substitution von (nicht)monetären Entlohnungssysteme durch Altruismus erklären zu müssen, als auch für die Soziologie, die noch kein Erklärungsmodell für die Emergenz von Gesellschaftlichkeit durch Altruismus kennt, einige Schwierigkeiten in sich.

Geht man beispielsweise im ökonomischen Sinne davon aus, dass neben jeglichem unterstelltem Wohlwollen, auch ein gewisser Opportunismus dem Homo Oeconomicus inne wohnt, so gilt es kritisch zu hinterfragen ob ein Erklärungsansatz wie Altruismus oder Idealismus haltbar ist, auf der Suche nach der Motivation dieser produzierenden Nutzer.

Die Paradoxie, und somit in diesem Artikel postulierte Hypothese ist, dass ein Wikipedia Autor weder altruistisch noch opportunistisch ist und sich sehr wohl ein Entlohnungssystem definieren lässt. Sozialität ist die Währung, die den idealistisch-altruistischen Opportunisten motiviert.

Wikipedia garantiert den Editoren gegenüber der Öffentlichkeit Anonymität. Man mag also argumentieren, dass die oben genannte Paradoxie unhaltbar ist, auf Grund der Tatsache, dass sich vor dem Hintergrund der Anonymität keine Sozialität bilden kann und somit für Autoren auch kein Anreiz bestünde gute Arbeit zu leisten um beispielsweise etwaige Reputationseffekte zu erzielen.

Tatsächlich ist es aber so, dass zwar gegenüber der Öffentlichkeit weitgehende Anonymität herrscht, sich im Hintergrund bestimmter Themen aber Netzwerke wissender und schreibender Autoren zentrieren. Diese treffen auf Grund der thematischen Nähe vermehrt aufeinander und können sich an Pseudonymen (Nummern oder Namen) wiedererkennen. Kollektive Güter im Web 2.0, entstehen also aus der Motivation, die durch unterschiedlichste Arten von Beziehungsgeflechten entsteht.

Vermutlich kann man sagen, dass Wikipedia Editoren mitunter idealistisch, altruistisch motiviert sind und Wert auf Reziprozität legen, welche für das Gelingen solcher Open Source Projekte ausschlaggebend ist, dennoch sind sie auch opportunistisch, da sie die von ihnen geleistete Arbeit zu ihrem Vorteil nutzen. Der Währung besteht in diesem Falle in der Anreicherung von sozialem Kapital und Reputationseffekten in der entstehenden Sozialität.

Social Software und die Inkontingenz der Emergenz von Kontingenzkultur im Web 2.0



Menschen sind im Web 2.0, weil sie das Gefühl haben dort "freier" zu sein, mehr Gestaltungsoptionen zu besitzen und besser kommunizieren zu können.

Die Paradoxie ist, dass sie mit Social Software im Web 2.0 genau das machen, was sie in der Realität auch schon immer gemacht haben. (Reden, Gruppen bilden, Leben gestalten, Spass haben)

Wie passt es also zusammen, auf der Suche nach einer Art Kontingenzkultur zu sein (einer Kultur der prinzipiellen Offenheit, in der nichts festgelegt ist, sondern für jeden alles offen sein sollte) und gleichzeit Altbekanntes zu reproduzieren. Wozu also Web 2.0?

„Die interessante Hypothese ist, dass Freiheit durch die Duplikation der Systeme aus Determiniertheit entsteht.“
vgl. Luhmann 2006 (Hrsg. Baecker), S. 178 "Einführung in die Systemthorie" 

Daraus gefolgert: Die Paradoxie ist, dass die Emergenz von Kontingenzkultur im Web 2.0 nur durch einen inkontingenten Reproduktionsprozess der Gesellschaft in der Virtualität möglich wird.

(näheres dazu in Kürze ;-)

Sonntag, 30. November 2008

Heterogenität ist die neue Homogenität - Web 2.0 als Antwort?

 

„Die undialektischen Medien werden zu langweiligen Medien, wie überhaupt unsere Kultur gerade wegen der Anstrengung faszinierend zu sein und fasziniert zu werden, unübersehbar dazu tendiert, zu einer langweiligen Kultur zu werden.[…] In wieweit es den Medien gelingen wird, sich in das dialektische Zeitalter hineinzufinden, hängt von ihrem Eigensinn ab. Ein eigensinniges Massenmedium kann es nur geben, wenn der Markt Eigensinn nachfragt. Eigensinnige Medien sind abhängig vom öffentlichen Bedürfnis nach Dialektik und umgekehrt.“[1]

 

Die Herausforderung und ökonomische Relevanz von Heterogenität als neuer Homogenität. Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika - Barack Obama - twittert[2], hat einen FlickR-Account[3], spaziert in Second Life[4], interagiert mit seinen Wählern über MySpace[5], Facebook[6] und YouTube[7], besitzt sogar einen Digg-Account[8] und leitet mit seiner frisch gelaunchten Homepage change.gov und der darin enthaltenen „Tell us your story“-Kampagne[9], wohl die erste Web 2.0 – Demokratie ein. Dieses aktuelle, in der täglichen Diskussion um die neuen Anforderungen an politische Diskussion sehr prominente Beispiel[10], zeigt deutlich wie Politik erfolgreich einer neuen Form der Homogenität seiner Wählerschaft begegnet ist, nämlich durch die Integration ihrer Heterogenität.

Nicht nur politische Kommunikation, ebenso Medien und Unternehmen stehen im Allgemeinen vor der großen Herausforderung Konzepte zu entwickeln, die den zunehmend individuelleren und sich somit stetig pluralisierenden Bedürfnissen der Nutzer und Kunden gerecht werden.[11] "Alte" Medien sehen sich im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Konsumenten, einem kaum mehr zu steigernden Wettlauf der Reizintensivierung, Vereinfachung und Zeitverkürzung ausgesetzt.[12] Unter Bezugnahme des im Eingang dieses Kapitels zitierten „Eigensinns“, lassen sich bereits neue Medien und innovative unternehmerische Konzepte auf dem Weg in das sog. „dialektische“ Zeitalter beschreiben. So können Citizen Journalism, User Generated Content, Partizipation, Modifizierbarkeit, Individualisierung, Personalisierung, Mass Customization und Open Innovation als beispielhaft für die Ansätze einiger eigensinniger Medien und Unternehmen beschrieben werden, dieser neuen Homogenität, d.h. der Heterogenität zu begegnen. Im weitesten Sinne lassen sich die genannten Konzepte dem viel zitierten Begriff des sog. Web 2.0 zuordnen, welches jene Bereiche des Internets bezeichnet, die sich durch soziale Vernetzung und Interaktion, sowie die von Nutzern generierten Inhalte auszeichnen. Um es mit den Gedanken Tapscotts knapp zu formulieren: Das neue Internet, das Web 2.0, grenzt sich von anderen Medien, sowie einem etwaigen Web 1.0 im Wesentlichen durch den aktiven Konsum der Nutzer, sowie die Partizipations-, Gestaltungs- und Personalisierungsmöglichkeit von Inhalten ab. Die Web 2.0-„Prosumenten“[13], lassen sich nicht länger nur berieseln, sondern suchen nach mehr als nur dem passiven Konsum von Information und Unterhaltung.[14]



[1] vgl. Schulze 2000, S. 71 und 75

[10] vgl. für weitere Informationen zur aktuellen Diskussion um Obamas Einfluss auf die politische Kommunikation: http://www.text-gold.de/prozesse-in-online-redaktionen/wandel-in-der-politischen-kommunikation/ Stand: 30.11.08

[11] vgl. Meffert, Burmann, Kirchgeorg 10. Auflage 2008, S. 850, 852, 856

[12] vgl. Schulze 2000, S. 64ff

[13] vgl. für den Begriff des Prosumenten,

[14] vgl. Tapscott 2006, S. 37; vgl. auch Haas, Trump, Gerhards, Klingler 2007, S. 215

Montag, 24. November 2008

Wozu Paradoxiekunst?

„Es findet immer ein Dialog statt. Man agiert, wird selbst aktiv. Web 2.0 ist ein Stück Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit, und ermöglicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit.“[1]


Wieso machen Menschen im Web 2.0 mit Social Software genau das, was sie in der Realität auch machen könnten, wie beispielsweise Klavierpsielen in Second Life...

Niklas Luhmann, würde diese Paradoxie so erklären, dass Freiheit nur durch Autopoietische Reproduktion von Systemen durch Determiniertheit entstehen kann. (vgl. Luhmann, Einführung i.d. Systemtheorie, 2000). "Frei" sein zu können, bedeutet also in Second Life auch alte Gewohnheiten reproduzieren zu müssen, um dann auf einer Gewissen allgemeinen Basis für die virtuelle Gemeinschaft, überhaupt erst Neues ausprobieren zu können. Eine Kultur der Offenheit benötigt also paradoxerweise zunächst einen inkontingenten, d.h. nicht offenen Reproduktionsprozess der alten Kultur in neuen Strukturen.


...und wieso machen Sie Dinge, die herkömmlichen ökonomischen Prinzipien widersprechen, d.h. Dinge die keinen sofort erkennbaren Mehrwert für das Individuum mit sich bringen, beispielsweise das Editieren von Wikipedia Artikeln oder das Schreiben von Amazon Kundenrezensionen. Wieso entsteht User Generated Content?

Wenn man gemäß der Ökonomie nicht von der Annahme abweichen möchte, das bei allem Wohlwollen in jedem Menschen auch ein Opportunist steckt, dann lässt sich Editieren von Wikipedia Artikeln weniger begründen durch reinen Altruismus, Idealismus oder Langeweile, sondern vielmehr auch durch die im Hintergrund der Artikel entstehende Sozialstruktur, die es dem Individuum ermöglicht beispielsweise Anerkennung von anderen Editoren durch gute Arbeit zu gewinnen. Virtuelle Märkte sind also Kommunikationsangebote die mit Sozialität handeln.


...und warum überhaupt virtuell?

Laut Gerhard Schulze befinden wir uns in einer Art Erlebnisgesellschaft, die sich das Projekt des schönen Lebens zur Aufgabe gemacht hat. Individuen als Subjektivitätsmanager, sind auf der Suche danach, genau das zu erleben was ihnen gefällt. Die Suche nach dem Glück wird ermöglicht durch die in den letzten Jahrzehnten zunehmenden monetären und zeitlich Ressourcen (genereller Wohlstand, zunehmende Lebenszeit, abnehmende Erwerbszeit etc). Lebensläufe gestalten sich individueller, Bedürfnisse von Konsumenten pluralisieren sich. 

Eigensinnige Konsumenten, Subjektivitätsmanager, suchen nach eigensinnigen Medien. Erfolgsfaktor sind also dialektische Medien, die diese Art von erlebnisrationalen, freiheitsorientierten Angeboten schaffen, immer genau das tun zu können, was man gerne möchte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob man im Web 2.0 erfolgreich ist, wenn man dem Nutzer anbietet gleichzeitig Konsument und Produzent seiner eigenen Fantasie zu werden?


Paradoxiekunst ist:
...die lebenslustige Beobachtung von alltäglichen Phänomenen auf der Metaebene.
...das wissensdurstige Tanzen zwischen Realität und Theorie.
...die mit einem Augenzwinkern angewandte Wissenschaft auf unser tägliches Leben.

Und alles nur, um eines Tages erklären zu können:
...wie Nutzer im Web 2.0 gleichzeitig zu Produzenten und Konsumenten ihrer Selbst werden.
...oder wieso Leute ohne direkt identifizierbaren Mehrwert Kundenrezensionen bei Amazon schreiben.

Dieser Blog will dazu anregen sich selbst zu beobachten. Sich selbst zu hinterfragen. In Interaktion. Neugierde an den alltäglichen Dingen des Lebens zu wecken. Keinesfalls normativ zu sein. Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft darzustellen und Wissensdurst an der Schnittstelle zwischen Alltag und Theorie zu erzeugen.



[1] Dieses Zitat ist den Freitextfeldern der dieser Forschungsarbeit zu Grunde liegenden Befragung mittels Fragebogen entnommen. Es ist die Antwort auf die Frage „Was findest du gut am Web 2.0 bzw. Internet?“